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Diagnostik mit Rundumblick (Motorik)

Warum ich die motorische und körperliche Entwicklung des Kindes im Blick habe?

 

Selbst wenn es um schulische Herausforderungen wie Lesen, Schreiben oder Rechnen geht, erkundige ich mich nach den Geburtsumständen. Besondere Geburten, wie Kaiserschnitt, Zangengeburt oder der Kristeller-Handgriff, können langfristige Folgen nicht nur für die motorische und sprachliche Entwicklung, sondern auch für das Lernen haben.

 

Der Tonische Labyrinthreflex (kurz TLR)

Die Natur hat die Babys mit unterschiedlichen Automatismen ausgestattet, die ohne unser Zutun den Weg ins Leben ermöglichen. Fachleute sprechen von frühkindlichen Reflexen oder Reaktionen.

 

Der TLR ermöglicht dem Ungeborenen die fötale Beugehaltung, um sich im Mutterleib platzsparend einrollen zu können. Dadurch werden alle Muskeln an der Vorderseite des Körpers trainiert und der Beugetonus ausgebildet. Das Baby spürt seine Vorderseite und im Gehirn entsteht ein neuronales Feld, das für Bewegungen nach vorne zuständig ist.

Der TLR in der Streckung, die Gegenbewegung zur Beugung,  wird erst durch die vaginale Geburt ausgelöst und spielt dort eine entscheidende Rolle, indem einerseits das Köpfchen in den Geburtskanal gestreckt wird, während die gestreckten Beinchen sich von der Gebärmutterwand abstoßen. In der weiteren Entwicklung vom ersten Heben des Köpfchens bis zum aufrechten Gang hilft der TLR in der Streckung den Körper bezüglich vorne und hinten in Balance zu bringen.

Bei einem Kaiserschnitt hingegen wird  - vereinfacht gesagt - die Bauchdecke der Mutter geöffnet, die Fruchtblase durchtrennt und das Baby wird herausgezogen. Es entfällt dabei der natürliche Impuls zur Streckung. Das kann sich auf die motorische Entwicklung auswirken. 

 

Schon in der Krabbelphase kann es zu Auffälligkeiten kommen. Die  Babys erreichen zwar die Krabbelphase, müssen dafür aber zusätzliche Zwischenschritte durchlaufen, wie etwa das Robben oder haben seltsame Formen beim Krabbeln. Oft berichten stolze Eltern, dass ihr Baby schon sehr früh das Laufen erlernt habe. Es könnte allerdings sein, dass es sich nicht um ein bewegungsfreudiges Kind handelt. Manche Babys nämlich, für die das Krabbeln durch eine Missbalance zwischen der Beugung nach vorne und der Streckung nach hinten anstrengend ist, lassen die Krabbelei deshalb schnell hinter sich. Das Streben nach dem aufrechten Gang ist sehr stark. Aber durch das Krabbeln bilden sich wichtige Bahnen im Gehirn. Es ist die erste Bewegung im Überkreuzmuster, die zum Beispiel für die Verbindung der linken und rechten Gehirnhälfte steht. Dies hat Einfluss auf die Entwicklung der  Nah- und Ferneinstellung der Augen und beeinflusst die Zusammenarbeit beider Augen (binokulares Sehen), was für das Lesen oder das Abschreiben von Bedeutung ist. 

 

Solche Erkenntnisse bei der Diagnostik helfen, die Lernschwierigkeiten besser zu verstehen.

 

Es hat keinen Sinn, dem Kind Vorwürfe zu machen oder es gar als faul, unwillig oder sonst wie zu beurteilen. Kinder mit motorischen Problemen brauchen zu den pädagogischen Maßnahmen ergänzende Therapien und Unterstützung. Manchmal hilft alleine eine bessere Sitzposition, eine schräge Schreibplatte oder eine Veränderung des Übungsumfangs. Spezielles Lob in Form von Anerkennung - gezielt und richtig eingesetzt - kann die Motivation verbessern.

 

Manchmal braucht es jedoch begleitende therapeutische Maßnahmen, die die Grundlage für besseren Erfolg pädagogischer Interventionen bilden: Ergotherapie, Logopädie, Osteopathie, Psychotherapie, Physiotherapie, Hörwahrnehmungstraining u.v.m.

 

Es geht darum, für betroffene Kinder ein individuelles Maßnahmenpaket zu schnüren.