Wenn Eltern mit ihrem Kind wegen Schulproblemen in meine Praxis kommen, verschaffe ich mir vorerst einen genauen Überblick. So auch bei Markus (Name geändert), 3.Klasse Volksschule, 8 Jahre. Markus wurde mir wegen Rechtschreib- und Konzentrationsproblemen vorgestellt.
Bevor die Mutter sich an mich gewandt hatte, gab es im Vorfeld bereits eine psychologische Testung. Das Ergebnis laut Mutter war: „Er kratzt gerade an Legasthenie, hat sie aber nicht“ Diese Aussage war zwar eine erste Erkenntnis, aber brachte Mutter und Sohn nicht wirklich weiter. Mein Ziel war es nun die wirksamste Intervention zu finden, um dem Kind zu helfen.
Thema 1 war die katastrophale Rechtschreibung. Um die Rechtschreibschwäche besser zu erfassen, lasse ich mir grundsätzlich Ausarbeitungen der Kinder, wie Ansagen, Hausübungen oder Schularbeiten zeigen. Die Fehler in den persönlichen Texten zeigen deutlicher auf, wo die Thematik liegt. In Stresssituationen machen Kinder oft mehr und andere Fehler als bei Testungen, in denen nur einzelne Wörter erfragt und nur auf die Anzahl der Fehler geachtet.
Ich überprüfe jedoch die Art der Fehler. Fehler erzählen eine Geschichte. So auch bei Markus.
Ich konnte zum Beispiel mehrere folgende Fehler finden: <Brod> anstelle von <Brot>, oder <Blad> statt <Blatt>
Hart/weich Fehler können auf eine Hörverarbeitungsproblematik hinweisen. Manche Punkte der Anamnese wiesen auch darauf hin. Kinder können Hörwahrnehmungsdefizite oft recht gut kompensieren. So lange Lernwörter einzeln geübt werden, lernen solche Kinder die Wörter auswendig. Erst beim Schreiben von freien Texten kommt die Schwäche so richtig ans Tageslicht.
Wenn es sich bei den Fehlern um die häufig vorkommende d/b Verwechslung handelt, sollte auch an die Sehwahrnehmung gedacht werden. Markus hatte schon einmal eine Brille, doch wollte er sie nicht aufsetzen. Die Optometristin wunderte sich, denn aus ihrer Sicht würde es für Markus wichtig sein.
Markus war am Tag der Testung verschnupft. Dadurch konnte ich die Hörverarbeitung noch nicht testen, die Sehwahrnehmung jedoch schon. Das Screening zeigte auf, dass die Sache mit der Sehwahrnehmung doch genauer verfolgt werden sollte. Die Ergebnisse waren zwar „nur“ leicht auffällig, aber: Aus Gesprächen mit AugenärztInnen und OptometristInnen und durch meine eigenen Erfahrungen kann eine Brille mit nur ganz geringfügigem Ausgleich eine enorme Verbesserung bringen. Ich empfahl daher eine spezielle funktionaloptometristische Untersuchung.
Nun war ich allerdings mit der Analyse der Rechtschreibung noch nicht fertig!
Markus machte auch Fehler, wie <Ged> statt <geht> oder <komd> statt <kommt>. Solche Fehler sind eine Kombination aus mehreren Fehlerbereichen.
<Ged>:
Großschreibung - da habe ich gleich mehrere davon gefunden (überraschung, hindernis)
Dehnungs-/Schärfungsfehler
Auch <komd> gehört in diese Kategorie. Selbige habe ich auch z.B. bei <sezt> oder <lasen> gefunden.
Interessant ist die Häufigkeit der Fehler in den einzelnen Kategorien. Eindeutig überwog der Dehnungs-/Schärfungsfehler, gefolgt von Großschreibefehlern und speziellen Fehlern, wie d/t oder v/f .
Zu jeder Kategorie gibt es ein eigenes Rechtschreibwerkzeug, speziell enzwickelt für Kinder bei Legasthenie. Das Rechtschreibtraining wird sich zuerst jener Fehlergruppe zuwenden, bei dem Markus am meisten profitieren kann, also Dehnung/Schärfung.
Mit Markus werde ich also in das Land der Moras reisen. Das ist eine fantastische Methode. um zu wissen, warum man <setzt> mit <tz> und <lassen> mit <ss> schreibt.
Das zweite Thema Konzentration erfordert weitere/andere diagnostische Maßnahmen. Oft handelt es sich nicht um ein Konzentrationsproblem, sondern um eine nur kurze Aufmerksamkeitsspanne. Die Ursache ist häufig in der Hörwahrnhmung zu finden.
Es lohnt sich also, das bei Markus weiter im Auge zu behalten! Allerdings macht die weitere Diagnostik erst dann Sinn, wenn bei Markus feststeht, ob ihm eine Brille helfen kann oder nicht. Auch eine schlechte visuelle Wahrnehmung steht oft in Verbindung mit der Konzentration. Es kostet dem System viel Energie, wenn die Sehwahrnehmung aufwändig ist. Da kann die Aufmerksamkeit nicht lange genug aufrecht erhalten werden.
Die Diagnostik bezüglich der Hörwahrnehmung steht also noch aus. Die Mutter hatte aber erkannt, woher Markus’ Probleme kommen könnten. Im Rahmen der pädagogischen Arbeit wird sich herausstellen, ob die Hörwahrnehmung weiter überprüft werden sollte.
Meine Devise ist, so wenig Intervention wie möglich, so viel wie nötig.