AVWS bedeutet: Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung. Das Ohr ist gesund, doch die Hörwahrnehmung ist beeinträchtigt. Wie kommt das?
Die Ursachen sind vielfältig. Ein Grund kann schon direkt durch die Situation nach der Geburt entstehen. Kinder, die im Inkubator gelegen sind, sind widernatürlichem Lärm ausgesetzt. Auf der Intensivstation ist das Frühgeborene vielen Lärmquellen unterschiedlichster Art ausgesetzt und prägt die ersten Hörerfahrungen. Dazu muss man wissen, dass bei Geräuschen ab 65 dB(A) im Körper Stresshormone ausgeschüttet werden.
Der Inkubator hat ein Betriebsgeräusch von 52 dB(A). Pflegerische Handlungen wie z.B. das Absaugen führen zu einer Erhöhung des Lärms auf 60 dB(A). Dabei ist zu bedenken, dass Menschen eine Erhöhung des Lärms um 3 dB(A) als doppelt so Laut empfinden. Wird ein Kind mit dem Babylog 8000 (Dräger) konventionell beatmet, entsteht ein Geräusch von 55 dB(A). Durch eine Umstellung auf eine Hochfrequenz Oszillation (SensorMedics3100A) kommt es zu Spitzenpegeln bis 85 dB(A). Dies entspricht einem vorbeifahrenden LKW. Zu extrem hohen Pegeln (74–116 dB, das entspricht dem Geräusch eines Bohrhammers) kam es beim Abstellen eines Gegenstandes auf dem Inkubator oder dem Klopfen gegen den Inkubator.
Quelle: https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-2007-983157
Das sind die ersten Hörerfahrungen eines Frühgeborenen. Folge: Tiefe Frequenzen überwiegen, das Angebot der für die Sprache höheren Frequenzen fehlt in dieser ersten wichtigen Zeit der Hörentwicklung.
Auswirkung: Oft erlebe ich in meiner Praxis, dass Kinder die tiefen Frequenzen wesentlich besser wahrnehmen als die Sprachfrequenzen. In lärmiger Umgebung (Klassensituation) geht die Sprache im Störlärm unter. Zuhören ist deshalb sehr anstrengend und durch den erhöhten Energieverbrauch, kann die Aufmerksamkeit nicht lange gehalten werden. Dies wird oft als Konzentrationsschwäche beschrieben.